Was bedeutet systemisch?
Der systemische Ansatz geht ursprünglich auf die Familientherapie der 1950er Jahre zurück und hat seitdem eine konstante Weiterentwicklung erfahren. Seitdem wurde der Ansatz von unterschiedlichen Strömungen geprägt und wird inzwischen auf diverse Bereiche übertragen. So gibt es systemisches Coaching oder Supervision, systemische Familientherapie, systemische Psychotherapie (Richtlinienverfahren seit 2018 für Erwachsene sowie seit 2024 für Kinder und Jugendliche) oder auch systemische Organisationsentwicklung.
Aber was bedeutet eigentlich systemisch und was macht diesen Ansatz so besonders?
Der systemische Ansatz geht davon aus, dass wir als Individuen in Systemen leben und nicht abgetrennt von unserer Umwelt zu verstehen sind. Sprich unsere Handlungen, unsere Gedanken und Gefühle machen in ihrem jeweiligen Kontext Sinn. So können auch individuelle Wertvorstellungen oder Glaubenssätze in ihrem biografischen Kontext Sinn machen - auch wenn sie vielleicht für eine außenstehende Person komplett unverständlich sind. Unser Wertesystem bietet uns gewissermaßen einen Kompass, mit dem wir durch unser Leben gehen. Der systemische Ansatz geht davon aus, dass dieser Wertekompass also individuell mit Sinn gefüllt wird.
Hier kommt eine zentrale Strömung des systemischen Ansatzes ins Spiel und zwar der Konstruktivismus. Er geht davon aus, dass Werte, Beziehungsmodelle oder Weltanschauungen soziale Konstrukte sind. Jegliches soziale Miteinander ist demnach sozial konstruiert. Das bedeutet: mein Konstrukt bspw. von Liebe oder was eine glückliche Beziehung ausmacht, ist zwangsläufig ein anderes als das meines Gegenübers. So sind unsere Werte-Landkarten biografisch und lebensweltlich so geprägt, dass jede:r mit einer eigenen Brille auf die gemeinsame Landschaft blickt, in der wir uns bewegen und ein eigenes Verständnis davon hat, inwiefern soziale Konstrukte für sie Sinn macht.
Was bedeutet das nun für die Therapie?
Für das therapeutische Setting bedeutet es, dass ich als Therapeutin nicht wissen kann, wie das Konstrukt Liebe oder Familie für mein Gegenüber genau aussieht. Diese Haltung nennt man in der systemischen Therapie die Haltung des Nicht-Wissens. Sie impliziert, dass ich Klient:innen als Expert:innen für ihre eigene Lebenswelt betrachte.
Außerdem bedeutet es, dass ich weder mit Zuschreibungen noch mit Lösungsvorschlägen (nach dem Motto: „Hast du… schon mal versucht? Das soll total hilfreich sein…) arbeite. Vielmehr richtet sich mein therapeutischer Kompass danach, mein Gegenüber in der eigenen Anliegen- und Lösungssuche zu unterstützen. Es geht also mehr darum, Ressourcen oder auch Lösungen anzuregen, die für den individuellen Erfahrungshintergrund des oder der Klient:in Sinn machen.