23.04.2025

Systemisches Elterncoaching

Elterliche Präsenz: Wie Eltern in herausfordernden Zeiten durch Beziehung und eine Haltung des Gewaltfreien Widerstands wieder handlungsfähig werden

Inmitten von Alltagshektik und familiären Herausforderungen kann es passieren, dass Eltern ihre elterliche Präsenz verlieren. Seien es belastende familiäre Konfliktdynamiken oder Paarkonflikte, die auf die Familiendynamik ausstrahlen, Mobbing in der Schule oder psychische Belastungen. Reagieren Kinder ihren Eltern gegenüber darauf mit herausforderndem Verhalten, fehlt zur elterlichen Überforderung nicht mehr viel. Häufig entsteht ein Komplex aus Belastungen, der von einem Gefühl der Ohnmacht und der Scham begleitet wird - und nicht selten zu einem inneren Rückzug führt. Diese Spirale verstärkt sich durch die Tendenz, sich weiter zurückzuziehen und mit der Überforderung alleine zu bleiben.

Hier setzt das Konzept des systemischen Elterncoachings an, das von Haim Omer und Arist von Schlippe entwickelt wurde. Es dreht sich darum, Eltern in diesen herausfordernden Zeiten zu stärken und sie darin zu begleiten, ihre elterliche Präsenz und Selbstwirksamkeit wiederzufinden. Dieser Ansatz geht auf die Haltung des Gewaltfreien Widerstands zurück: Durch eine Haltung der wachsamen Sorge, der Beharrlichkeit und des Respekts, fernab von Drohungen und Machtkämpfen.

In Familien, in denen Kinder herausforderndes Verhalten zeigen – sei es Aggression, Rückzug oder Selbstverletzung –, geraten Eltern oft an ihre Grenzen. Kommunikationsabbrüche, das Gefühl der Entwertung und wachsende Verzweiflung können die Beziehungen belasten und zu einem Teufelskreis aus Ohnmacht, Schuldgefühlen und Isolation führen. In dem verzweifelten Versuch, die Situation zu kontrollieren und den Kontakt nicht ganz zu verlieren, greifen manche Eltern zu autoritären Maßnahmen, die jedoch selten die gewünschte Wirkung erzielen und oft die Konflikte weiter verschärfen.

Diese Eskalationen können nicht nur zu Verletzungen auf beiden Seiten führen, sondern auch ungewollt problematische Verhaltensmuster verstärken. Der Glaube, Beziehungen über Macht regulieren zu können, erweist sich als trügerisch und hinterlässt Frustration und erneut Gefühle des Scheiterns. Die Fronten verhärten sich weiter und beide Seiten haben zunehmend Probleme, ihr Gesicht zu wahren. Und besonders fatal: für das Kind kommt es dadurch zu einer Legitimation von gewaltvollem Verhalten.

Elterliche Präsenz als Anker:

Im Kern geht es bei elterlicher Präsenz darum, in schwierigen Momenten sichtbar und verlässlich für das Kind da zu sein. Es ist eine Haltung der wachsamen Sorge, die signalisiert: „Ich sehe dich und ich bin für dich da, auch wenn dein Verhalten mich herausfordert.“

Haim Omer spricht in diesem Zusammenhang von einer „Neuen Autorität“, die nicht auf Angst und Strafe basiert, sondern auf einer starken elterlichen Beziehung, Beharrlichkeit im Umgang mit Problemen und einem tiefen Respekt vor dem Kind. Dieser Respekt manifestiert sich darin, dass Eltern die Verantwortung für eine respektvolle Interaktion übernehmen und dies nicht vom Kind einfordern. Die „Neue Autorität“ ist somit ein Rahmen, der die elterliche Präsenz in konkreten Handlungsstrategien unterstützt.

Gewaltfreier Widerstand als Ausdruck von Präsenz:

Ein wesentlicher Aspekt, um elterliche Präsenz im Alltag zu leben, ist der Ansatz des gewaltfreien Widerstands. Seine zentrale Botschaft ist klar: „Ich akzeptiere dein selbst- oder fremdschädigendes Verhalten nicht, aber ich werde dich deswegen nicht verlassen oder angreifen.“ Es ist ein aktiver und respektvoller Weg, als Eltern eine klare Position gegen inakzeptables Verhalten einzunehmen, ohne das Kind zu beschämen, zu verletzen oder auszuschließen.

Das Ziel ist nicht, das Kind zu „besiegen“, sondern die Verbindung wiederherzustellen und die Beziehung zu stärken. Eltern kämpfen nicht gegen ihr Kind, sondern um ihr Kind – mit einer Haltung der Standhaftigkeit, Klarheit und des Respekts.

Die Bedeutung des elterlichen Selbstwerts:

Eine zentrale Frage ist: Was brauchen Eltern, um ihren Kindern das geben zu können, was sie benötigen? Die Stärkung des elterlichen Selbstwertgefühls und der eigenen Überzeugung, handlungsfähig zu sein, ist entscheidend. Wenn Eltern sich selbst wieder als kompetent und wertvoll erleben, können sie ihren Kindern Halt und Orientierung geben. Unterstützung durch Coaching und Beratung kann Eltern helfen, ihre eigenen Grenzen, Gefühle und Bedürfnisse wieder wahrzunehmen und für sie einzustehen.

Die Essenz elterlicher Präsenz lässt sich in drei Aussagen zusammenfassen: Ich bin da. (Unabhängig vom Verhalten des Kindes) Ich bleibe. (Auch in schwierigen Zeiten und bei Rückschlägen) Ich bin nicht allein. (Die Bereitschaft, Unterstützung anzunehmen)

Diese Prinzipien verdeutlichen, dass elterliche Präsenz auf Beziehung statt Kontrolle, auf Beharrlichkeit statt Bestrafung und auf Gemeinschaft statt Isolation gründet. Elterliche Präsenz ist also mehr als nur Anwesenheit, sie dient als Schlüssel zu einer starken Eltern-Kind-Beziehung. Es ist eine aktive, zugewandte Haltung, die Eltern in die Lage versetzt, auch in schwierigen Situationen handlungsfähig zu bleiben und eine tragfähige Beziehung zu ihren Kindern zu gestalten. Indem Eltern ihre Präsenz stärken, gewinnen sie ihre elterliche Autorität auf natürliche Weise zurück – nicht durch Angst, Bestrafung oder Distanz, sondern durch eine liebevolle, standhafte und verlässliche Beziehung.